VORBEMERKUNG DER HERAUSGEBER:
Zwei bedeutende chinesische Autoren sind verstorben, seit wir unser letztes HEFT herausbrachten. Beide haben, ganz im konfuzianischen Sinne, versucht, nicht nur beispielhaft zu schreiben, sondern auch beispielhaft zu leben, dem Gemeinwohl verpflichtet.
Der eine, den man wohl den Doyen der modernen chinesischen Literatur nennen könnte, im hohen Alter von fast hundert Jahren: Ba Jin. Mit einer Würdigung seiner Person und seines Werkes eröffnen wir dieses HEFT.
Der andere, Liu Binyan, erlag im US-amerikanischen Exil einem Krebsleiden. Er galt als einer der Väter der chinesischen Reportageliteratur und fühlte sich, wie Ba Jin, leidenschaftlich der Überzeugung verpflichtet, daß Literatur über die soziale Wirklichkeit aufklären und sie damit verändern könne. Liu, der Unbeugsame, der nach dem Tian’anmen-Massaker das Vaterland verließ; Ba Jin, der zeitweise Beugsame, der als einer der wenigen chinesischen Autoren bewegend Zeugnis ablegte von seiner Beugsamkeit: Beide sind sie in der aktuellen literarischen Diskussion fast vergessen. Ihr Werk wie ihre Person – das macht uns ihr Tod jäh bewußt – stehen für eine Zeit, die mit einemmal sehr weit zurückzuliegen scheint. Und wenn wir darüber erleichtert sind, so nehmen wir den Tod der beiden doch gern zum Anlaß, uns ihres Verantwortungsbewußtseins zu erinnern und ihrer Überzeugung, daß Literatur eine ernsthafte Sache sei.
Leider fanden wir, als wir die Nachricht von Lius Tod erfuhren, keinen Kenner, der uns einen Nachruf auf ihn geschrieben hätte. Wir müssen uns damit begnügen, im Nachrichtenteil eine knappe Würdigung durch Kirstin Wenk aus der Welt zu zitieren.
Der Übersetzungsteil beginnt mit einem chinesischen Langgedicht in volkstümlichen Rhythmen, einer satirischen Regieanweisung, wie denn eine »normgerechte Lachgrimasse« von Karrieristen einzuüben sei. Das erschien uns nicht nur in seiner Bissigkeit bemerkenswert, sondern auch so hinreißend übertragen, daß wir hier einmal von unserem Grundsatz, nichts anderswo bereits Publiziertes zu bringen, abweichen. Das Pseudonym des Autors konnte auch der Übersetzer nicht lüften.
Stammt dieser Text also von einem uns unbekannten Dichter, so sind uns Name und Einzelheiten der Biographie des Verfassers der nachfolgenden Nachtgespräche zwar verbürgt, doch kannte ihn niemand in unserer Redaktion; wir vermuten, daß dieser Mandschure namens Hebengge auch unseren Lesern bislang unbekannt war. Rainer Schwarz hat ihn für das deutsche Publikum entdeckt. Wir stellen aus seiner Übersetzung zwei Novellen vor, die unter anderem unterhaltsam zeigen, wie freimütig-amüsiert ein Thema wie die Homosexualität im generell so prüden qingzeitlichen China angesprochen werden konnte. Mögen diese Novellen formell und inhaltlich den chinesischen klassischen Konventionen entsprechen, stoßen sie uns doch noch einmal auf das interessante Phänomen, daß da durch die Jahrhunderte eine gelehrte Schicht von Literaten in immer gleichen Geschichten unersättlich ihre Phantasie mit der Vorstellung von Füchsinnen, bedrohlich schönen Feengestalten fütterte, Erzählungen, in denen die Schwäche und Ängstlichkeit der Männer von einem männlichen Autor fast wollüstig vorgeführt wird. In welcher anderen Literatur der Welt ist der Held so oft eine solche Null und Muttersöhnchen?
Auch von Zheng Qingwen dürfte kaum einer der an ostasiatischer Literatur Interessierten hierzulande etwas gehört haben. Seine Erzählung Das dreibeinige Pferd haben wir nicht nur ausgewählt, weil wir allzu lange keinen Text aus Taiwan mehr gebracht hatten, sondern weil uns das Thema und seine Behandlung besonders interessant erschienen. Ein Thema, das in China viele Jahre tabuisiert war: die Kollaboration mit den Japanern. Wobei es Zhengs besondere Absicht und Leistung ist, diese Bereitschaft zur Kollaboration in seiner Schilderung als psychologisch stimmig erscheinen zu lassen und den Kollaborateur nicht in traditionell chinesischer Manier als moralisch verkommen abzutun oder zu dämonisieren.
Schließlich von Kita Morio der vierte Teil seiner Erzählung In Nacht und Nebel. Der letzte Teil der Übersetzung wird voraussichtlich in HEFT 40 erscheinen.
HEFT 38 sollte schwerpunktmäßig koreanische Literatur vorstellen. In diesem HEFT sieht es nach einem chinesischen Schwerpunkt aus. Das war nicht so intendiert. Wir bedauern, daß uns keine Übersetzungen aus dem Japanischen erreichten, daß uns mithin keine ausgewogenere Mischung von japanischen und chinesischen Beiträgen möglich war. Vielleicht können wir da in HEFT 40 einiges wettmachen?
Erstmals findet sich in diesem HEFT eine Bibliographie deutschsprachiger Veröffentlichungen zur koreanischen Literatur. Thorsten Traulsen und Hanju Yang haben sie zusammengestellt und werden sie in den nächsten HEFTEN fortführen.