Korea ist Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Damit macht das ›Land der Morgenstille‹ einen weiteren Schritt, um in Deutschland verstärkt auch als Kulturnation und nicht nur als ein asiatischer Tigerstaat mit zunehmender Präsenz am Hochtechnologiemarkt wahrgenommen zu werden. Während in Asien schon seit Ende der neunziger Jahre die ›koreanische Welle‹ (Hallyu) in Form von Kinofilmen, TV-Dramen und Popmusik Wogen schlägt, rückte der kulturelle Aspekt Koreas hierzulande erst als Begleiterscheinung der Fußballweltmeisterschaft 2002 in Korea und Japan ins öffentliche Bewußtsein. Am präsentesten ist dem kulturell interessierten Nicht-Fachmann vielleicht noch der koreanische Film, zumindest seit Kim Ki-duk auf der Berlinale 2004 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet worden ist.
Wenig wahrgenommen wird bisher hingegen die reichhaltige koreanische Literatur. Und das, obwohl sie sich zu einem bedeutenden Teil – ähnlich wie die deutsche Literatur – mit dem Krieg und der nachfolgenden Teilung des Landes auseinandersetzt.
Aber nicht nur das Trauma des Koreakrieges und der Teilung des Landes, auch die rapide Industrialisierung unter der Militärdiktatur Park Chung-hees sowie der Wandel vom Agrar- zum Hochtechnologieland in wenigen Jahrzehnten und dessen dramatische soziale Folgen haben ihre literarischen Spuren hinterlassen. Der in diese Zeit hinein geborenen, sogenannten Han’gu3l-Generation (benannt nach dem 1443 erschaffenen koreanischen Alphabet) gelang – mit Kim Byong-Iks Worten – die dialektische Vereinigung der traditionell-volkstümlichen und der modern-spekulativen Muttersprache. Diese Autoren waren zu jung, um eine japanischsprachige Erziehung durch die Kolonialmacht erfahren zu haben. Darüber hinaus waren sie im Gegensatz zu ihrer Großvätergeneration befreit vom Nimbus des Chinesischen als einzig ›wahrer Schriftsprache‹ (Chinso). Die in diesem Band mit ihrer Erzählung »Winterreise« vertretende Pak Wan-so3 gehört dieser Generation an. Ebenso der Poet Kim Chi-ha, dessen hier übersetzte vier Gedichte jedoch bereits der nächsten Phase der koreanischen Literatur zuzuschreiben sind.
Nach der Konsolidierung demokratischer Strukturen und dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufstieg des Landes trat die koreanische Literatur in den neunziger Jahren in eine Phase der ›Verinnerlichung‹ (naemyo3nhwa). Zu dieser Zeit betrat Kim Yo3ng-ha die Literaturszene. Heute gilt er als einer der beliebtesten koreanischen Autoren, sowohl bei den Lesern, als auch bei den Kritikern. In seiner hier übersetzten Erzählung »Was du mir bedeutest« treten zwei Aspekte seines Stils deutlich hervor, die ihn als Kind seiner Zeit ausweisen: zum einen die Nähe zum Genre des in Korea so beliebten TV-Dramas; zum anderen seine temporeiche und prägnante Sprache, die eher vom Internet – speziell: blogs (Internettagebücher) – beeinflußt zu sein scheint denn von der Literatur seiner Elterngeneration.
Einen ähnlichen Bruch mit Vorhergehendem hat auch der 1937 jung verstorbene und heutzutage sehr geschätzte Yisang aufzuweisen. Über die japanische Kolonialmacht mit europäischer Avantgarde in Berührung gekommen, experimentierte er mit sprachlicher Form, wie seine zehn in diesem Band übersetzten Gedichte zeigen.
Um die tausendjährige Geschichte schriftlich überlieferter koreanischer Literatur nicht auf das 20. Jahrhundert zu verkürzen, bildet ein Auszug aus dem »Tagebuch einer Reise nach Jehol« (Yo3rha ilgi) den Abschluß des Koreateils. Dieses Tagebuch geht zurück auf eine Reise Pak Chiwons nach Nordchina im Jahre 1780. Ausgehend von seinen Reiseerlebnissen stellt er dabei kritische und satirische Reflexionen über den Zustand der koreanischen Yangban-Aristokratie an.
Wir – das heißt alle, die an dem Koreateil mitgewirkt haben – hoffen, bei dem einen oder anderen Leser das Interesse an koreanischer Literatur wecken zu können.